Was bedeutet Heimat in Zeiten von Flucht, Migration und Gentrifizierung, von Rassismus und Ausschluss? Wie verwendet man einen belasteten Begriff, der immer mehr meint als zu Hause? Und wie geht man mit Wurzeln um, denen man sich nicht mehr vollkommen verbunden fühlt? Der Fotograf Benjamin Lewin ist diesen Fragen nachgegangen: 2020 reiste er ins Vogtland, in die Gegend seiner Kindheit und Jugend. Mehrere Wochen lang ließ er sich durch die Dörfer und Landschaften der Region treiben, die er vor Jahren verlassen hat. Seine eigene Geschichte überlagert sich mit dem Vogtland von heute, das mittlerweile einen Rechtsruck erlebt hat – rechtsextreme Parteien wie die AfD und der „III. Weg“ erfahren Zulauf, seit 2019 sind beide sowohl im Kreistag, als auch im Stadtrat von Plauen vertreten.

Dass eine Auseinandersetzung mit Herkunft nie unbefangen geschieht, jedoch oftmals erst aus Verlust und Distanz heraus möglich ist, führen Lewins Bilder eindrucksvoll vor. Er nähert sich der Gegend und ihren Bewohnern über die Umgebung und das Stadtgefüge. Fassaden und Straßenzüge wechseln sich mit Naturansichten ab, Menschen fehlen bewusst in den Aufnahmen. Auf diese Weise gelingt ein Porträt von Heimat über das Außen, das Raum für Zwiespalt, Scham und Unbehagen lässt.

Dabei zeigt die Arbeit „Vogtland im Frühling“ weder ostdeutsche Spezifika noch rechte Insignien im Versuch, die Region zu verstehen. Lewin bildet unscheinbare, alltägliche Räume ab, die sich so oder so ähnlich überall in Deutschland finden. Indirekt erzählen sie auch etwas über das Verhältnis zu Freunden, Familie und den Teilen des Selbst, die in der entfremdeten Heimat zurückgeblieben sind. So setzt sich Lewins ethnografisch motivierte Erkundung zur lakonischen Momentaufnahme einer erinnerten Gegend zusammen: Affirmativ ist sein Vorgehen nie, Zwischentöne hält er bewusst aus. In der Übertragbarkeit dieser Versuchsanordnung offenbart sich die Fragilität des Heimatbegriffs. Heimat ist nichts weiter als ein Konstrukt – sie mag uns formen, aber letztendlich sind wir es, die das Bild von Heimat laufend neu gestalten.